Foto: Oskar Spang, 1965 © Vorarlberger Landesbibliothek

PIPELINE. DIE GEWALT DES ZUSAMMENHANGS

Künstlerhaus Bregenz 15.3. – 29.3.2024

Ich könnte sagen, es hat sich aufgedrängt und in mir Platz geschaffen. Es war an der Zeit, meine Kindheit zu beleuchten, einen künstlerischen Blick auf sie zu werfen. Diesem Ominösen, das die Vergangenheit per se und unsere ältesten Erinnerungen im Besonderen sind, ein wenig näher zu kommen und etwas greifbarer zu machen. Es vielleicht neu zu deuten. Denn von Verstehen kann ich in diesem Zusammenhang nicht sprechen.

Es ist eine atmosphärische Annäherung mit privaten Fotos (den wenigen frühen Familienfotos, die es noch gibt) und dokumentarischen Bildern aus dieser Zeit, den 1960er Jahren. Ein zentraler Schauplatz ist das Bodenseeufer. Ein (auch metaphorisches) Motiv ist der Bau der Pipeline zwischen Genua und Ingolstadt, die durch Bregenz führt. Eine nächtliche Autofahrt entlang dieser Uferstrasse im März 1964 war ein Wendepunkt.

Die verhandelten Bilder gruppieren sich um meine junge Mutter. Es ist hauptsächlich ihre Geschichte. Sie wurde zu meiner Geschichte. Es ist unsere verborgene Geschichte, von der ich glaube, dass sie sich auch im Untergrund ihren Weg bahnt. Es ist eine Geschichte, die zwischen den Bildern und durch die Bilder selbst erzählt wird. Oder mehr noch, es ist eine fragmentierte Geschichte, die Geschichte eines fragmentierten Lebens.

(Februar 2024)

PIPELINE. THE VIOLENCE OF THE CONTEXT I could say it forced itself on me and made room for itself. It was time to shed light on my childhood, to take an artistic look at it. To get a little closer to this ominous thing that is the past per se and our oldest memories in particular, and to make it a little more tangible. Perhaps to reinterpret it. Because I cannot speak of understanding in this context. It is an atmospheric approach with private photos (the few early family photos that still exist) and documentary images from that time, the 1960s. A central setting is the shore of Lake Constance. One (also metaphorical) motif is the construction of the pipeline between Genoa and Ingolstadt, which runs through Bregenz. A night-time drive along this lakeside road in March 1964 was a turning point. The pictures dealt with are grouped around my young mother. It is mainly her story. It became my story. It is our hidden story, which I believe is also making its way underground. It is a story that is told between the pictures and through the pictures themselves. Or even more, it is a fragmented story, the story of a fragmented life. (February 2024)

Fotos: Florian Raidt / Künstlerhaus Bregenz

Wo sich Eutopie und Dystopie treffen

Wer derzeit das Künstlerhaus Thurn & Taxis in Bregenz betritt, wird im Erdgeschoss von idyllischen Fotos aus dem Familienalbum des Konzept-, Video- und Fotokünstlers Christian Helbock empfangen. Es ist eine atmosphärische Annäherung, in deren Fokus Fotos von seiner Mutter, von ihm selbst, von seiner Schwester, vom Bodenseeufer, eigentlich von der im Bau befindlichen Pipeline (Mitte der 1960er-Jahre) zwischen Genua und Ingolstadt stehen. Auf der Videoleinwand ist eine nächtliche Autofahrt entlang dieser Uferstraße im März 1964 zu sehen, die nicht nur im Leben von Christian Helbock einen Wendepunkt markiert. Es ist eine dystopische Geschichte, die uns Helbock hier buchstäblich auftischt, die aber nur vom Künstler selbst zu erfahren ist, der in den nächsten zwei Wochen vor Ort sein wird (am 28. März, 18.30 Uhr findet im Künstlerhaus dazu „Pipeline. Ein Gespräch über die Vergangenheit“ statt). Ein Mysterium der Irritation und Sprachlosigkeit legt sich wie ein Schatten über die Idylle, wie der Schutt, der über die dicken Rohre der Ölpipeline gekippt wurde, als diese 1967 entlang des Bregenzer Seeufers in die Tiefe versenkt wurden.

Thomas Schiretz, Vorarlberger Nachrichten, 19.3.2024

Where eutopia and dystopia meet Anyone entering the Künstlerhaus Thurn & Taxis in Bregenz is currently greeted on the first floor by idyllic photos from the family album of conceptual, video and photo artist Christian Helbock. It is an atmospheric approach that focuses on photos of his mother, himself, his sister, the shores of Lake Constance and, in fact, the pipeline under construction (mid-1960s) between Genoa and Ingolstadt. The video screen shows a night-time drive along this lakeside road in March 1964, which marked a turning point not only in Christian Helbock’s life. It is a dystopian story that Helbock literally serves up to us here, but which can only be experienced by the artist himself, who will be on site over the next two weeks (on March 28, 6.30 pm, „Pipeline. A conversation about the past“). A mystery of irritation and speechlessness lies like a shadow over the idyll, like the rubble that was tipped over the thick pipes of the oil pipeline when they were sunk into the depths along the shore of Lake Bregenz in 1967. (Thomas Schiretz, Vorarlberger Nachrichten, 19.3.2024)

Pipeline (1964), 2024, 36 min

Von der Vergangenheit an der Pipeline

Mit seiner persönlichen Vergangenheit tritt der Künstler Christian Helbock „ …im Erdgeschoss“ des Künstlerhauses an die Öffentlichkeit.

Im Zwei-Wochen-Takt finden sich seit Jänner Künstlerinnen und Künstler mit ihren vielseitigen Ideen im Erdgeschoss des Palais Thurn und Taxis in Bregenz ein, um „Unfertiges, Verworfenes oder nicht Realisiertes“ aus ihrem Schaffensprozess zu zeigen. Bisher haben sich dabei Kunstschaffende in Gruppen für die Ausstellungskonzepte „DieHumanKapitalisten“, „Aggressives Rosa“ und „Entschleunigungsfabrik“ zusammengeschlossen und in mehreren (Diskussions-) Veranstaltungen auch das Publikum einbezogen.

Kindheit in Bregenz. Aktuell hat der Künstler und Fotograf Christian Helbock den Raum mit seiner Vergangenheit befüllt: An den Wänden hängen Fotos aus seiner Kindheit und dazwischen immer wieder Bilder des Bodenseeufers aus den 1960er Jahren. Als metaphorisches Sinnbild steht der Bau der Pipeline, die von Genua nach Ingolstadt auch über Bregenz führt, für die Zeit, der er sich nun mit einem künstlerischen Blick nähert. In den viereckigen quadratischen Fotografien ist Helbocks junge Mutter am Bodenseeufer zu sehen. Als kleiner Junge sitzt Helbock selbst zwischen gleichaltrigen Kindern in der Bregenzer Oberstadt, wo er auch aufgewachsen ist. Neben dem See liegen Haufen von Schutt, der bald die neu gebaute Ölpipeline verdecken wird.

In der Mitte des Ausstellungsraums im Erdgeschoss hat Helbock seine Ateliersituation nachgebaut, wo der Künstler noch bis 29. März neben Büchern und Mandarinen sitzt und weiter seine persönliche Familiengeschichte ausarbeitet und auch seine nicht leicht zu begreifende Vergangenheit verarbeitet, in der eine nächtliche Autofahrt entlang der Uferstraße im März 1964 einen Wendepunkt darstellte. „Die verhandelten Bilder gruppieren sich um meine junge Mutter. Es ist hauptsächlich ihre Geschichte. Sie wurde zu meiner Geschichte. Es ist unsere verborgene Geschichte, von der ich glaube, dass sie sich auch im Untergrund ihren Weg bahnt. Es ist eine Geschichte, die zwischen den Bildern und durch die Bilder selbst erzählt wird“, schreibt der Künstler im Text zu seiner Ausstellung „Pipeline. Die Gewalt des Zusammenhangs“.

Nächste Woche, am 28. März um 18.30 Uhr, findet im Künstlerhaus dazu mit Christian Helbock und Thomas Schiretz „Pipeline. Ein Gespräch über die Vergangenheit“ statt.

Sieglinde Wöhrer, Die Neue, 21.3.2024

From the past to the pipeline The artist Christian Helbock presents his personal past to the public “ …on the first floor“ of the Künstlerhaus. Every two weeks since January, artists have been gathering on the first floor of Palais Thurn und Taxis in Bregenz with their diverse ideas to show „unfinished, discarded or unrealized“ works from their creative process. So far, artists have come together in groups for the exhibition concepts „TheHumanCapitalists“, „Aggressive Pink“ and „Deceleration Factory“ and have also involved the public in several (discussion) events. Childhood in Bregenz. Currently, artist and photographer Christian Helbock has filled the room with his past: Photos from his childhood hang on the walls, interspersed with pictures of the shores of Lake Constance from the 1960s. The construction of the pipeline, which runs from Genoa to Ingolstadt via Bregenz, is a metaphorical symbol of the time that he is now approaching with an artistic eye. Helbock’s young mother can be seen on the shores of Lake Constance in the square photographs. As a young boy, Helbock himself sits among children of the same age in the upper town of Bregenz, where he also grew up. Next to the lake are piles of rubble that will soon cover the newly built oil pipeline. In the middle of the exhibition space on the first floor, Helbock has recreated his studio situation, where the artist will be sitting next to books and mandarins until March 29, continuing to work out his personal family history and also coming to terms with his past, which is not easy to comprehend and in which a night-time drive along the Uferstraße in March 1964 was a turning point. „The images dealt with are grouped around my young mother. It is mainly her story. It became my story. It is our hidden story, which I believe is also making its way underground. It is a story that is told between the pictures and through the pictures themselves,“ writes the artist in the text accompanying his exhibition „Pipeline. The Violence of Context“. Next week, on March 28 at 6.30 pm, the Künstlerhaus will host „Pipeline. A conversation about the past“ will take place. (Sieglinde Wöhrer, Die Neue, 21.3.2024)