Karpo Godina, About the Art of Love, or a Film with 14441 Frames, 1972

LOVING OTHERS – MODELLE DER ZUSAMMENARBEIT

Künstlerhaus Wien 13.10.2022 – 29.1.2023

Kuratiert von Christian Helbock und Dietmar Schwärzler
Ausstellungsarchitektur: studio-itzo

Künstler:innen-Gruppen sind ein „modernes“ Phänomen, zumindest insoweit sie eine prominente Bedeutung im künstlerischen und kulturellen Ereignisfeld erlangen. Kollektive Produktion in der Kunst war und ist dabei auch nicht von dem Versuch zu trennen, alternative, teils von Utopie getragene Arbeits- und Lebensformen zu entwickeln, die abseits von Konkurrenz und Gewinnmaximierung stehen. Oft werden Kollektive nach dem Abschluss der Ausbildung, also zwischen 25 Jahren und 30 Jahren, gegründet, viele Gruppen bzw. Kollektive lösen sich aber relativ bald wieder auf. Die Formen der Zusammenarbeit sind dabei so vielfältig, wie die künstlerischen Strategien und meist von der Gegenwart geprägten Tendenzen, die sich in den jeweiligen Arbeiten abbilden und auf die unterschiedlichen Gruppenbildungen verweisen.

Soziale Interaktionen und Kommunikation, die einen produktiven Gedankenaustausch forcieren, sind elementare Charakteristika jeder Art von Zusammenarbeit, die aber ganz wesentlich auch von emotionalen Bindungen geprägt ist. Zusammenarbeit stellt in diesem Sinne immer eine Beziehungsform dar, wobei der Begriff „Beziehung“ ganz vielfältig und abseits vom klassischen Paar gedacht ist. Die latenten sozialen Dynamiken und verdeckt mentalen Erwartungshaltungen einzelner Akteur*innen manifestieren sich in kollektiven Arbeits- und Lebenszusammenhängen. Dies zeigt sich in Konstellationen, die sich durch verändernde Rollenzuschreibungen und Wechsel in der Gruppenhierarchie auszeichnen (Ruangrupa), ebenso in radikalen Verschränkungen von sexuellem und intellektuellem Zusammenleben eines „erweiterten Körpers“ (AA Bronson), über virtuell konstruierte Communities und Netzwerke, bis hin zu temporären Zweckgemeinschaften.

LOVING OTHERS will Künstlerinnen-Gruppen und deren unterschiedliche Modelle von Zusammenarbeit in Form ihrer sozialen Bindungen und Solidaritäten produktiv machen und Geschichten des konstruktiven Scheiterns miterzählen. Im Fokus der Ausstellung stehen vorwiegend jüngere Werke, die auf unterschiedlichen Ansätzen von künstlerischer Zusammenarbeit basieren und deren inhärente, spezifische Arbeits- und Beziehungsformen Teil der Präsentation sein werden. Die Auswahl kann als exemplarisch, gleichzeitig aber auch willkürlich bezeichnet werden, da es unzählige Kollektive gibt. Zwei Beiträge sind als in situ Arbeiten konzipiert, die von Bar du Bois und dem russischen Kollektiv ZIP Group realisiert werden. Als Interpunktionen oder Verbindungslinien zwischen den präsentierten Werken der Kollektive und Künstlerinnengruppen sind aktuelle, aber auch wenige historische Arbeiten gesetzt, die Fragen zu unterschiedlichen Modellen der Zusammenarbeit wachrufen und auch werkbezogene, zeitlich limitierte Kollaborationen zeigen. Als Beispiel sei an dieser Stelle eine besonders spitzfindige Art der Gemeinschaftsarbeit erwähnt, nämlich Karpo Godinas äußerst amüsanter Kurzfilm „On the Art of Loving or Film with 14441 Frames“ (1972). Für diese Auftragsarbeit, von der jugoslawischen Armee produziert, standen dem Filmemacher während seiner eigenen Militärzeit als einfacher Soldat 20.000 Mann zur Verfügung, die er zu einer atemberaubenden Performance in den Bergen Mazedoniens (heute: Nordmazedonien) orchestrierte. Der Film, der quasi die hierarchisierteste und von Gemeinschaft geprägte Arbeitsstruktur schlechthin subvertiert, brachte Godina beinahe ins Gefängnis, seinen Film konnte er von der Zerstörung bewahren.

Weitere Verbindungslinien zwischen den Werken werden aber auch durch die Arbeit geschaffenen Vereinigungen, Freundschaften und Gemeinschaften produziert. Die Grundidee eines Kollektivs ist, dass sich eine Gruppe von Personen zusammenfindet, um ein gemeinsames Interesse zu verfolgen, das sich alleine nicht bewerkstelligen lässt bzw. durch den Zusammenschluss das Potential seiner Wirkungskraft verstärkt. LOVING OTHERS versteht sich insofern auch als Versuchsfeld, das Kollektiv, die Künstler*innen-Gruppe oder auch temporäre Kooperationen ausdifferenziert zu betrachten und gegenüber zu stellen.

Künstler:innen:
Bar du Bois, ____fabrics interseason & friends, Femplak, Forensic Architecture, Group Material, House of Ladosha, INVASORIX, Karpo Godina, Suzanne Lacy, The Nest Collective, ruangrupa – lumbung, Total Refusal, Anna Spanlang & Klitclique, ZIP group 

LOVING OTHERS – MODELS OF COLLABORATION Künstlerhaus Vienna 13.10.2022 – 29.1.2023 Curated by Christian Helbock and Dietmar Schwärzler
Exhibition architecture: studio-itzo
Artists‘ groups are a „modern“ phenomenon, at least to the extent that they are gaining a prominent position in the field of artistic and cultural events. Collective production in art was and still is inseparable from the attempt to develop alternative, sometimes utopian forms of work and life that stand apart from competition and profit maximization. Collectives are often founded after graduation, i.e. between the ages of 25 and 30, but many groups or collectives disband relatively soon. The forms of collaboration are as diverse as the artistic strategies and mostly contemporary tendencies that are reflected in the respective works and refer to the different group formations. Social interactions and communication that promote a productive exchange of ideas are elementary characteristics of any type of collaboration, which is also essentially characterized by emotional ties. In this sense, collaboration always represents a form of relationship, whereby the term „relationship“ is conceived in a variety of ways and away from the classic couple. The latent social dynamics and hidden mental expectations of individual actors manifest themselves in collective working and living contexts. This can be seen in constellations that are characterized by changing role attributions and changes in the group hierarchy (Ruangrupa), as well as in radical entanglements of sexual and intellectual cohabitation of an „extended body“ (AA Bronson), through virtually constructed communities and networks, to temporary communities of convenience. LOVING OTHERS aims to make groups of female artists and their different models of collaboration productive in the form of their social ties and solidarities and to tell stories of constructive failure. The exhibition focuses primarily on recent works that are based on different approaches to artistic collaboration and whose inherent, specific forms of work and relationships will be part of the presentation. The selection can be described as exemplary, but at the same time arbitrary, as there are countless collectives. Two contributions are conceived as in situ works, realized by Bar du Bois and the Russian collective ZIP Group. As punctuations or connecting lines between the presented works of the collectives and artist groups, current, but also a few historical works are set, which raise questions about different models of collaboration and also show work-related, time-limited collaborations. As an example, a particularly subtle type of collaborative work should be mentioned here, namely Karpo Godina’s extremely amusing short film „On the Art of Loving or Film with 14441 Frames“ (1972). For this commissioned work, produced by the Yugoslavian army, the filmmaker had 20,000 men at his disposal during his own military service as an ordinary soldier, which he orchestrated into a breathtaking performance in the mountains of Macedonia (today: North Macedonia). The film, which subverts the most hierarchical and communal work structure par excellence, almost landed Godina in prison, but he was able to save his film from destruction. Further links between the works are also produced by the associations, friendships and communities created by the work. The basic idea of a collective is that a group of people come together to pursue a common interest that cannot be achieved on their own or that increases the potential of its impact by joining forces. In this respect, LOVING OTHERS also sees itself as a field of experimentation to consider and contrast the collective, the artist group or even temporary collaborations in a differentiated way. Artists:
Bar du Bois, ____fabrics interseason & friends, Femplak, Forensic Architecture, Group Material, House of Ladosha, INVASORIX, Karpo Godina, Suzanne Lacy, The Nest Collective, ruangrupa – lumbung, Total Refusal, Anna Spanlang & Klitclique, ZIP group

Begleitend zur Ausstellung entsteht eine Publikation, die sich nicht als Ausstellungskatalog begreift. Darin sollen diskursive Texte zum Thema, zusätzliches Material, weitere Beiträge von Kunstschaffenden bzw. begleitende Interviews versammelt und präsentiert werden. Die Publikation versteht sich als durchaus eigenständige, diskursive Materialsammlung einem interessierten Publikum vertiefende Informationen zu unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit, einzelner Gruppen oder künstlerischen Praktiken zur Verfügung zu stellen, auch solchen die nicht in der Ausstellung präsentiert werden.

Mit Beiträgen von: Madeleine Bernstorff, Fehras, Femplak, Christian Helbock & Dietmar Schwärzler & Rhea Tebbich, Christian Höller, INVASORIX, Massa Lemu, Athambile Masola & Patrick  Mudekereza, Simon Mraz, Pay the Artist Now!, Agnieszka Pindera, Total Refusal, Hedwig Saxenhuber, Anna Spanlang & Mirjam Schweiger & Judith Rohrmoser & Jonida Laçi, Barbara Steiner, studio-itzo, Gerald Weber, WHW, u.a.
Erschienen im Verlag für moderne Kunst

The exhibition will be accompanied by a publication that is not intended as an exhibition catalog. It will contain and present discursive texts on the subject, additional material, further contributions from artists and accompanying interviews. The publication sees itself as a thoroughly independent, discursive collection of material to provide an interested audience with in-depth information on various forms of collaboration, individual groups or artistic practices, including those not presented in the exhibition. With contributions by: Madeleine Bernstorff, Fehras, Femplak, Christian Helbock & Dietmar Schwärzler & Rhea Tebbich, Christian Höller, INVASORIX, Massa Lemu, Athambile Masola & Patrick Mudekereza, Simon Mraz, Pay the Artist Now! Agnieszka Pindera, Total Refusal, Hedwig Saxenhuber, Anna Spanlang & Mirjam Schweiger & Judith Rohrmoser & Jonida Laçi, Barbara Steiner, studio-itzo, Gerald Weber, WHW, and others.
Published by Verlag für moderne Kunst